VERSTÄNDNIS
Für sie war ich immer nur ein Mensch zweiter Klasse. Minderwertig.
Eine Geschiedene. Wer wollte, konnte vorbeischauen. reden. Das Herz
ausschütten. Auch sie schaute gelegentlich vorbei. Dafür war
ich ihr gut genug. Sie vetraute mir ihre Geheimnisse an - wenn auch
unter Vorbehalt. kein Geheimnis ausplaudern, ein Leben lang. Ich willigte
ein. Hörte zu. Fühlte mit, gab Ratschläge, leistete Schwüre.
Immer zweimal: einmal zu Beginn der Beichte und einmal am Ende. Sie
war es stets zufrieden. Und sie ging, wissend, das der Mensch nur ein
Leben hat. Umtausch nicht möglich. Genauso kam es dann. Sie wurde
krank. Schwerkrank. Ihr Mann verließ sie, weil er es nicht mehr
aushielt. Die Kinder waren in alle Winde zerstreut. Sie war allein.
Litt sehr. Ich half ihr, so gut ich konnte. Magerte selbst dabei ab.
Schließlich pflegte ich sie doch gesund. Langsam kam sie wieder
zu Kräften. Fand die Sprache wieder. Ihre ersten Worte werde ich
nie vergessen: "Jetzt hast du es mir gebührend gedankt",
sagte sie. Unverwandt blickte sie mir in die Augen und fügte verständnisvoll
hinzu: "Nicht umsonst habe ich dir meine Geheimnisse anvertraut." |